Digitale Potenzialabwägung
Mit der digitalen Potenzialabwägung neue digitale Lösungsansätze erkennen
Die digitale Potenzialabwägung ist ein Instrument, mit dem Maßnahmenvorschläge dahingehend geprüft werden, ob sie effektiver durch digitale oder durch rein analoge Lösungen umgesetzt werden können. Ausgangspunkt dafür ist, dass digitale Lösungen immer zweckorientiert genutzt werden sollten. Als Orientierungs- und Abwägungsprozess für die Weiterentwicklung von Maßnahmenvorschlägen kann dieser Prozessschritt eng mit der Leitbild- und Ziel- sowie der Maßnahmenentwicklung verknüpft werden. Die während der vorangegangenen Prozessschritte gesammelten Maßnahmenvorschläge bilden eine erste Grundlage für die digitale Potenzialabwägung, können aber bei der Bearbeitung auch um neue Lösungsansätze erweitert werden.
Prozessschritte der digitalen Potenzialabwägung
Die digitale Potenzialabwägung sollte in zwei Prozessschritte unterteilt werden: die Vorauswahl der Maßnahmenvorschläge und die Bewertung der Potenziale der digitalen bzw. analogen Maßnahmen.
Was ist die digitale Potenzialabwägung?
Aufgabe und Ziele des Prozessschritts
Nachdem ein Leitbild sowie Ziele bzw. Leitlinien erarbeitet wurden, kann es in den einzelnen Handlungsfeldern ein Nebeneinander von bereits konkret diskutierten (digitalen) Einzelmaßnahmen und eher allgemeinen, abstrakten Digitalisierungspotenzialen, die noch in Maßnahmen übertragen werden müssen. Die Potenzialabwägung wird eingesetzt, um diese abstrakten Digitalisierungspotenziale in den einzelnen Handlungsfeldern sowie daraus resultierende mögliche (neue) digitale bzw. analoge Lösungsansätze zu konkretisieren und abzuwägen. Sie hilft dabei, Lösungsansätze und Maßnahmenideen mit Blick auf die Leitbild- und Zielebene auf ihre Wirksamkeit oder Umsetzbarkeit zu überprüfen. Auch bereits vorhandene digitale Lösungen können in diesem Schritt auf Potenziale zur Weiterentwicklung und auf Synergien mit anderen Maßnahmen überprüft werden. Darüber hinaus kann die Potenzialabwägung bei der Einschätzung von Risikofaktoren helfen, die während der Umsetzungsphase des IDEKs aufkommen können und denen vorgebeugt werden muss. Insofern dient sie auch als Möglichkeit zur Rückversicherung und als Abwägungshilfe für Gemeinden bzw. Gemeindezusammenschlüsse. Die Ausgestaltung dieses Prozessschrittes liegt stark in der Hand der beauftragten interdisziplinären Planungsbüros. Das hier aufgezeigte Vorgehen ist nur eine Möglichkeit für die Ausführung der Potenzialabwägung. Wichtig ist, dass im Rahmen des Prozessschritts ein Abwägungsprozess (digitale und analoge Lösungsansätze) stattfindet.
Die Ziele der digitalen Potenzialabwägung zusammengefasst:
- Identifikation noch abstrakter Digitalisierungspotenziale in den einzelnen Handlungsfeldern sowie daraus resultierende mögliche (neue) Lösungsansätze
- Überprüfung der konkreten Ideen mit Blick auf formulierte Ziele
- Prüfung von Ausbau- und Vernetzungspotenzialen bestehender digitaler Lösungen
- Formulierung von Risikofaktoren sowie entsprechende Risikomanagement-Maßnahmen
Vorauswahl der Maßnahmenvorschläge
Mit der Vorauswahl wird die Anzahl der Maßnahmenvorschläge auf ein überschaubares Maß reduziert
Die digitale Potenzialabwägung besteht aus mindestens zwei Teilschritten: der Vorauswahl von Maßnahmenvorschlägen für jedes Handlungsfeld sowie der Abwägung, inwiefern diese digital oder analog konzipiert werden. Die Vorauswahl gilt der groben Prüfung der Maßnahmenvorschläge auf ihre grundsätzliche Eignung für eine Umsetzung im Rahmen des integrierten digital-städtebaulichen Entwicklungskonzepts (IDEK). Vorschläge aus früheren Prozessschritten und aus Akteurs- und Beteiligungsprozessen werden für die Vorauswahl zusammengetragen und bei Bedarf durch weitere Maßnahmenideen ergänzt. Gute Umsetzungsbeispiele aus anderen Städten können dabei als Inspiration genutzt und auf den Bezugsraum adaptiert werden. Hier sollten auch Maßnahmen diskutiert werden, die als Quick Wins schnell in die Umsetzung gebracht werden können und kurzfristig Erfolge liefern. Der Umfang der Vorauswahl sollte so gewählt werden, dass die Anzahl der Maßnahmenvorschläge für den anschließenden Abwägungsprozess gut bearbeitbar ist.
Die frühe Sichtbarkeit der Mehrwerte von Digitalisierungsprojekten stärkt die Akzeptanz des gesamten IDEK-Prozesses gegenüber der Politik und Bürgerschaft. An der Vorauswahl sollten wichtige Stakeholder im IDEK-Prozess, wie zum Beispiel der Arbeitskreis oder andere Verwaltungsstellen, beteiligt werden. Für die Durchführung bieten sich interaktive Workshop-Formate an. Anhand von abgestimmten Kriterien wird vorgefiltert, welche Maßnahmenvorschläge im nächsten Schritt weiterqualifiziert werden sollen. Für eine bessere Nachvollziehbarkeit der Bewertung eignet sich die Erstellung eines Kriterien- oder Fragekatalogs oder einer Checkliste. Dabei kann auch mit Ausschlusskriterien gearbeitet werden. Die vorgefilterten Ideen sind im weiteren Prozess vom interdisziplinären Planungsteam im Detail vorzudenken und in Hinblick auf die Umsetzungsdauer, den Kostenrahmen sowie weitere Gesichtspunkte auszuformulieren.
Bewertung der digitalen Potenziale einer Maßnahme
Die anschließende Bewertung der Maßnahmenvorschläge bzw. Lösungsansätze erfolgt entsprechend eines eigens erstellen Bewertungsschemas
Nachdem die Maßnahmenvorschläge vorgefiltert wurden, folgt im nächsten Schritt die Überprüfung, ob eine Maßnahme bzw. ein Lösungsansatz sich eher für eine digitale oder für eine analoge Umsetzung eignet. Mithilfe des zweiten Prozessschrittes kann die Vielzahl von vorgeprüften Maßnahmenvorschlägen auf eine überschaubare Anzahl reduziert werden. Das Bewertungsschema für die digitalen Potenziale einer Maßnahme dient der systematischen Bewertung und Priorisierung der vorgefilterten Maßnahmen. Die Erstellung der Kriterien für das Bewertungsschema kann entsprechend der Kompetenzen im Planungsteam unterschiedlich erfolgen. Das Schema sollte in der Lage sein, die Gegebenheiten des Bezugsraums zu berücksichtigen, beispielsweise wenn es um den Umsetzungszeitraum, den ungefähren Kostenrahmen oder andere Realisierungshürden für eine Maßnahme geht. Dafür kann es sich lohnen, andere Verwaltungseinheiten bzw. Fachabteilungen einzubeziehen. Um Verzerrungen in der Maßnahmenauswahl zu verhindern, sollte es Gewichtungen für die einzelnen Beurteilungskategorien oder -kriterien enthalten. Die Bewertung sollte möglichst durch einen erweiterten Akteurskreis erfolgen, beispielsweise unter Einbeziehung von Expert/-innen, die in der Regel – aber nicht nur – aus dem interdisziplinären Planungsteam kommen. Mithilfe des Bewertungsschemas kann außerdem eine Priorisierung der Maßnahmenvorschläge und Lösungsansätze vorgenommen werden. Die Priorisierung stellt eine weitere Möglichkeit dar, um die Gesamtzahl der im nächsten Prozessschritt zu qualifizierenden und auszuformulierenden Maßnahmenvorschläge zu reduzieren.
Die digitale Potenzialabwägung kann sowohl auf geplante als auch auf bereits existierende Maßnahmen angewendet werden, um zu bewerten, inwiefern diese durch den Einsatz digitaler Technologien optimiert werden könnten. Maßnahmenvorschläge ohne räumlichen Bezug, wie z. B. Maßnahmen zur Verwaltungsdigitalisierung oder zum digitalen Kompetenzaufbau, können ebenfalls in diesen Bewertungsschritt einbezogen werden. Bei allen Maßnahmen sollten Finanzierungsmöglichkeiten erörtert werden. Für eine gute Nachvollziehbarkeit der vorgenommenen Bewertungen sollte mindestens für den Schritt der Bewertung der digitalen Potenziale eine Dokumentation angelegt werden. Eine nachvollziehbare und strukturierte Dokumentation ist auch für das Monitoring sinnvoll, um in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, inwiefern sich Rahmenbedingungen für die Umsetzung einer Maßnahme verändert haben, beispielsweise durch neue preiswerte Technologien oder neue lokale Akteure, die die Umsetzung begleiten. So wird sichergestellt, dass die Maßnahmenumsetzung auch nach begonnener IDEK-Umsetzung flexibel und zielgerichtet angepasst werden kann. Die digitale Potenzialabwägung kann außerdem Erkenntnisse für parallellaufende Konzepterarbeitungen liefern, wie z. B. für Klimaanpassungsstrategien und Verkehrsplanungen.
Praxisbeispiel: Erarbeitung eines Kriterienkatalogs für Rosenheim, um Maßnahmen und Werkzeuge zu ermitteln
Für Rosenheim erfolgte die Potenzialabwägung mithilfe eines Kriterienkatalogs, durch den eine Shortlist an Maßnahmen und Werkzeuge ermittelt werden konnte. Dafür wurde zunächst ein Kriterienkatalog zur Bewertung der Maßnahmen erstellt, der sich aus neun Indikatoren zusammensetzt. Für jeden Indikator konnten bis zu drei Punkte pro Kriterium vergeben werden. Die Bewertung der Maßnahmen mithilfe der Punkteskala ergab eine Liste mit elf Maßnahmen an der Spitze, die im nächsten Prozessschritt in Form von Maßnahmensteckbriefen ausgearbeitet wurden. Die Shortlist-Maßnahmen treiben die Zielerreichung besonders voran und bieten gute Voraussetzungen für eine zeitlich absehbare Umsetzung. Neben Maßnahmen wurden auch Werkzeuge identifiziert, die die Grundlage für die Umsetzung vieler Maßnahmen sind. Die Potenzialabwägung endete mit der Untersuchung von Synergieeffekten zwischen den Maßnahmen und den Werkzeugen.
Praxisbeispiel: Digitale Potenzialabwägung in drei Schritten für Nürnberg-Lichtenreuth
Für Nürnberg-Lichtenreuth erfolgte die digitale Potenzialabwägung Hand in Hand mit dem Prozessschritt der Maßnahmenentwicklung. Dafür wurden die über den IDEK-Prozess gesammelten 34 Projektideen auf Nutzen und Umsetzbarkeit untersucht. Die Bewertungskriterien berücksichtigen Potenziale und Hemmnisse der Digitalisierung, aber auch Mehrwerte für eine gemeinwohlorientierte Stadtteilentwicklung und die Mitwirkungsbereitschaft wichtiger Akteure. Die Projektideen wurden zusammen mit 42 Teilnehmenden, u. a. mit Mitarbeitenden der Verwaltung und kommunaler Unternehmen, diskutiert. Die Verortung und Clusterung der Ergebnisse erfolgte auf einer Bewertungsskala. Daraus ergab sich eine Maßnahmenliste mit 25 Projektvorschlägen, die drei Umsetzungskategorien zugeordnet werden konnten: Projektliste A – Empfehlung zur Umsetzung, Projektliste B – Projektpool für eine spätere Umsetzung und Projektliste C – Projekte, die nicht weiterverfolgt werden. Für Maßnahmen der Listen A und B wurden Steckbriefe erarbeitet.
Praxisbeispiel: Bewertungssystematik mit Gewichtung für Deggendorf und Plattling
Für die digitale Potenzialabwägung wurden in Deggendorf und Plattling zunächst Maßnahmenvorschläge gesammelt und durch die Planungsbüros vorausgewählt. Zur Bewertung der digitalen Potenziale entwickelte das Planungsteam ein Bewertungssystem, das aus vier Hauptkategorien unterschiedlicher Gewichtung besteht: (Strategische) Relevanz (20 %), Daten- und Digitalisierungsaspekte (20 %), Umsetzungsaspekte (30 %) sowie Nutzen (30 %). Den Hauptkategorien wurden Bewertungskriterien zugeordnet. Die Bewertung erfolgte anhand einer Punkteskala durch ein Gremium aus vier Einzelteams mit unterschiedlicher Expertise. Das Ergebnis der Bewertung war eine Auflistung von priorisierten Maßnahmen, die durch bereits in der Planung bzw. Umsetzung befindliche Maßnahmen ergänzt wurden.
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Praxisbeispiel: Über Ausschlusskriterien und Bewertungsfragen zur Maßnahmenauswahl in Neu-Ulm
Das Beispiel Neu-Ulm zeigt, wie die Maßnahmenauswahl im Rahmen der digitalen Potenzialabwägung sinnvoll abgestuft werden kann. Die Maßnahmen, die im Rahmen der IDEK-Erarbeitung für Neu-Ulm der digitalen Potenzialabwägung zugeführt wurden, entstammten der Öffentlichkeitsbeteiligung sowie den formulierten Zielvorstellungen und Leitbilder des vorangegangenen Prozessschritts. Für die finale Maßnahmenauswahl wurde ein mehrstufiger Auswahl- und Priorisierungsprozess durch die Steuerungsgruppe in Abstimmung mit den beteiligten Fachabteilungen vorgenommen. Dafür wurden zunächst durch Ausschlusskriterien Maßnahmenideen auf solche reduziert, für die eine Umsetzung grundsätzlich sinnvoll bzw. möglich war. Im nächsten Schritt erfolgten eine qualitative Bewertung und Abwägung der Maßnahmen mittels Bewertungsfragen in Hinblick auf ihren Mehrwert, ihre Wirtschaftlichkeit sowie Risiken und Folgen. Als Ergebnis wurden 16 digitale Einzelmaßnahmen identifiziert, die die digitalen Potenziale Neu-Ulms am besten aufgreifen und erweitern. Die restlichen Maßnahmen wurden in einen Ideenspeicher aufgenommen.
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